Berlin, 30. Januar 2009
Nährboden für intelligente Ausstellungen
Generaldirektor Michael Eissenhauer im Gespräch über Forschung im Museum
Nach einer Schreinerausbildung, dem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Deutschen Literaturwissenschaft sowie einem wissenschaftlichen Volontariat am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg war Michael Eissenhauer (geboren 1956 in Stuttgart) als Wissenschaftler am Deutschen Historischen Museum in Berlin und später als Kurator erneut am Germanischen Nationalmuseum tätig.
Von 1995 bis 2001 war er Direktor der Kunstsammlungen der Veste Coburg und von 2001 bis 2008 Direktor der Staatlichen Museen Kassel. Michael Eissenhauer ist seit 2002 Mitglied im Vorstand von ICOM Deutschland, seit 2003 Präsident des Deutschen Museumsbundes und seit 2004 Mitglied im Stiftungsbeirat der Kulturstiftung des Bundes.
Im November 2008 nahm Michael Eissenhauer seine Arbeit als Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin auf.
BS: Herr Eissenhauer, es fällt auf, dass Sie sich in Gesprächen zu Ihrer neuen Rolle als Generaldirektor der Berliner Museen immer sehr stark auf Ihren Vorgänger beziehen – was behalten Sie bei, was werden Sie anders als Peter-Klaus Schuster machen?
ME: Angesichts der Größe und der enormen Komplexität der Staatlichen Museen wäre es meiner Meinung nach Etikettenschwindel, wenn nun einer käme, der behauptete, er habe das Rad neu erfunden. Es kann höchstens eine Bestärkung von Aspekten geben, die schon da sind, und eine besondere Unterstützung derjenigen, die die kuratorischen Aufgaben innehaben.
Zu diesen Aufgaben gehören: Sammeln, Bewahren, Ausstellen. Nun geben die Staatlichen Museen in ihrer Broschüre zur Forschung im Museum „Forschen“ als zusätzliche Aufgabe an – aber ist im Museum nicht ohnehin das Forschen untrennbar mit dem Ausstellen, Sammeln und Bewahren verknüpft?
In Gesprächen sagen mir Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter immer wieder, man käme im täglichen Museumsgeschäft nicht zum Eigentlichen. Und dann frage ich natürlich, was wäre denn „das Eigentliche“? Und dann wird etwas beschrieben, das eher mit dem Studium im klassischen Sinne zu tun hat: nämlich Forschen im Sinne des Niederschreibens von Erkenntnissen, die sich aus einer abstrakten Beschäftigung mit Fragestellungen ergeben. Ich meine jedoch, Forschen im Sinne des Museums heißt, die Kenntnis über die Sammlung und über das Material zu vertiefen, also mit neuen Fragestellungen das bekannte Material zu betrachten. Forschung im Museum sollte sich nicht nur in Publikationen niederschlagen, sondern der Nährboden für intelligente Ausstellungen sein.
Forschen heißt für mich auch, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass Provenienzforschung nicht nur als eine Reaktion auf das Washingtoner Abkommen zu verstehen ist, sondern dass es zu dem emanzipierten Selbstverständnis des Umgangs mit unseren Sammlungen gehört, die Provenienz der Stücke als Grundnotwendigkeit zu erkennen. Wir müssen eigeninitiativ arbeiten und nicht nur re-aktiv. Die Staatlichen Museen haben hierbei eine Vorbildfunktion.
Was gehen Sie selbst als erstes Projekt an?
Wir haben viel Arbeit nach innen zu leisten. Das Zusammengehörigkeitsgefühl muss in den nächsten Jahren wachsen. Es ist wichtig klarzumachen, dass wir neben der Museumsinsel noch ein zweites festes Standbein haben werden – und zwar das Kulturforum, das kein Zentrum zweiter Klasse sein wird. Neben den Sammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts machen es auch seine Architekturen und seine Platzierung in der Stadt zu einem Symbol, zu einem Denkmal des 20. Jahrhunderts.
In diesem Jahr ist das herausragende zentrale Schlüsselereignis die Wiedereröffnung des Neuen Museums im Herbst. Das bedeutet auch einen Epochenwechsel, denn erst damit ist die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte auf der Museumsinsel abgeschlossen.
Nun haben Sie gerade die Forschung immer wieder als fundamentalen Schwerpunkt für Ihre Museumsarbeit betont – wie wird das sichtbar werden?
Von Anfang an hat dieser Museumsverbund eine Art Grundgesetz gehabt, in dem expressis verbis steht, dass ein wesentlicher Teil der Aufgabe der Mitarbeiter die Forschung ist. Schon vor 150 Jahren also wurde gefordert, was heute vermeintlich fürsorgliche Stadtväter und Kulturpolitiker anmahnen, nämlich, dass Museumsmitarbeiter auch forschen. Übrigens besagen die Statuten auch, dass diese Forschung nicht auf die Sammlung beschränkt sein muss, jedoch dass die Sammlung klar im Vordergrund stehen muss.
Wir intensivieren Programme, mit denen wir Wissenschaftlern den Austausch zwischen den Institutionen ermöglichen. Wir haben Kooperationsverträge zum Beispiel mit der Max-Planck-Gesellschaft geschlossen, wir pflegen ein Austauschprogramm mit China und dem Kunsthistorischen Institut in Florenz sowie Stipendienprogramme mit dem Metropolitan Museum of Art, New York. Das zeigt, dass wir auch Teil der internationalen Community sein wollen und einen Schwerpunkt auf Wissenstransfer legen.
Die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin sind so großartig und so tiefgründig verwurzelt in fast allen Aspekten, dass es möglich ist, aus diesen Sammlungen fantastische große Ausstellungen zu machen. Wir brauchen also nicht unbedingt importierte Blockbuster-Ausstellungen. Und ich möchte den Kollegen die Freiheit verschaffen sich mit den Sammlungen beschäftigen zu können.
Und wie gewährleisten Sie das?
Indem dies als Forderung formuliert ist.
An wen?
An die Sammlungsdirektoren und die Kollegenschaft. Unsere Sammlung altniederländischer Malerei beispielsweise ist eine der größten der Welt. Und diese Abteilung ist noch niemals mit einer Ausstellung in den Vordergrund getreten. Ein Modell für die Zukunft soll die Ausstellung sein, die mit dem Städel Museum in Frankfurt entstanden ist: „Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden“ (Kulturforum Potsdamer Platz, 20. März – 21. Juni 2009).
Wie ist es denn um die finanziellen und personellen Ressourcen bestellt?
Natürlich wird die allgemeine wirtschaftliche Krise auch Auswirkungen auf uns haben, aber nicht so, wie wir das aus den USA oder Großbritannien hören. Als staatliche Einrichtungen sind wir in einer privilegierten Situation. Solange in der Gesellschaft ein Konsens besteht, dass man das kulturelle Erbe bewahren und pflegen muss, sehe ich uns nicht bedroht.
Welche Rolle spielt für Forschungsprojekte privates Sponsoring?
Für unmittelbar der Forschung dienende Projekte bekommt man sicher leichter Zuwendungen über Stiftungen und die öffentliche Hand. Es gibt aber auch Fälle wie den der Familie Oppenheim, mit deren Hilfe die Rekonstruktion der großartigen Bildwerke der Palastfassade von Tell Halaf aus dem ehemaligen Tell Halaf-Museum in Berlin durchgeführt werden konnte. Im November 1943 war die Fassade wie auch das von Max von Oppenheim gegründete Museum durch eine Fliegerbombe zerstört worden. Mit der Wiederherstellung der Bildwerke im vergangenen Jahr wurde mit Hilfe der Max von Oppenheim-Stiftung eines der größten Puzzles der jüngsten Vergangenheit erfolgreich beendet. Die spannende Entdeckung und Ausgrabungsgeschichte der Bildwerke, ihre schwere Beschädigung im Zweiten Weltkrieg und ihre Wiederherstellung werden 2010 im Mittelpunkt der Ausstellung „Abenteuer Tell Halaf – Die Wiederentdeckung einer archäologischen Sammlung“ im Pergamonmuseum stehen.
Und abschließend: Welche Schwerpunkte wird es für die Gegenwartskunst geben?
Ich weiß, dass auch für Udo Kittelmann ganz klar ist, dass die Nationalgalerie mit ihren fantastischen Sammlungen nicht die Verpflichtung einer Kunsthalle hat. Die Nationalgalerie ist auch ein Ort der klassischen Moderne. Und was Udo Kittelmann sehr am Herzen liegt, ist, diese wieder ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Wir kennen ihn alle gut genug, um zu wissen, dass er sich die Zeitgenossenschaft nicht nehmen lassen wird. Und er und ich ziehen am selben Strang, wenn es darum geht, den Brückenschlag in andere Sammlungen hinein zu machen, zum Beispiel von der Nationalgalerie zur Gemäldegalerie, zum Kupferstichkabinett oder zum Kunstgewerbemuseum. Da wird sicher viel Spannendes kommen.
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